26.05.2014:
Im Speisesaal
Krücken verbinden, ein Rollstuhl auch. Wildfremde Menschen interessieren sich plötzlich für einander, wenn sie ein Gebrechen teilen. Wenigstens in einer Rehaklinik. Wir sitzen am Tisch 6, ein runder Tisch in einer Fensterecke, licht und wie seine Nummer für sechs Personen ellenbogendicht. Daneben - wie an jedem anderen Tisch - die Krückenstationen. Bevor man sich setzt, klickt man seine Krücken in eine rechteckige Platte auf Ständer in Halterungen ein, wie sie der Handel für Besen und Schrubber im Küchenschrank anbietet. Danach hangelt man sich auf seinen Platz, die geschwungenen Rücken- und Armlehnen der Stuhlsessel als Halteersatz nutzend.
Wer keine Hand frei hat, bekommt das Essen von einem Mitarbeiter vor- oder nachgetragen. Der hat den Patienten schon am Buffet begleitet und wird angeleitet, was auf den Teller soll: "Eine Scheibe Wurst, bitte von zuunterst, und halbes Scheibchen Käse, bitte wieder von zuunterst, damit es nicht trocken ist, nur einen Klecks Quark, ich mach ihn sonst selber, der schmeckt mir hier sicher gar nicht, ist der Kartoffelsalat gut?" Ich bewundere die Geduld der Tellerträger, die immer noch einen netten Satz wissen.
Schade, dass unsere Kopfherrin des Tisches nicht mehr da ist. Eine Frau mit geballtem Witz, Herz auf dem rechten Fleck und einer Gosch so treffsicher und witzig, dass man sich ausschütten konnte. Es hat sich rumgesprochen, dass bei uns viel gelacht wird. Xaver hat sich zu uns gewünscht, allerdings wusste er nicht, dass unsere drei Stimmungsmacher heute abgereist sind. Aber er schlägt sich tapfer. Genauso wie unsere Neue. Zusammengefaltet und grau sass sie da. Blickte nur vor sich hin. Ermunternde Fragen beantwortet sie nur mit "ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt hier sein will". Auf Nachfragen zeigt sich, dass es ihr graust vor der "Therapiefabrik". Als wir alten Hasen ihr erklären, wie alles abläuft, wirft sie das Grau hinter sich und zeigt ein wunderbares Lächeln, das sofort wieder erscheint, als wir uns im Flur begegnen.
Noch ein neuer ist am Tisch. Dem hat man die künstliche Kniescheibe gerichtet, so dass er nicht mehr einseitig o-beinig ist. Allein die Schilderung macht Hoffnung auf Humor.