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28.05.2014:
Dichterin und Paganinis blaue Rose

Ich sitze neben einer Dichterin beim Frühstück, Mittagessen und Abendbrot. Wenn wir gemeinsam den Speisesaal verlassen, werfen wir uns Wörter zu, die Kopfkino fabrizieren und zum Lachen verleiten. Es ist beflügelnd. Überraschend für mich, diese Wortzauberin in ihren Gedichten, die ihr Grau hinter sich warf am ersten Abend an unserem Tisch.
Nicht weit von mir sitzt Xaver Paganini aus Chile. Er ist ein Schelm, der natürlich nicht so heißt, wie wir uns das zusammengereimt haben. Nicht aus der Luft gegriffen, sondern zusammen gestückelt aus seinen Infos, die er bei Tische fallen lässt. Ein Mann mit vielen Talenten. Charme, Humor, Ungeduld. Heute überraschte er uns mit einer weiteren Gabe.
Xaver ist vierzig (ungewiss trotz eigener Aussage) und total verliebt. Das treibt ihn zu interessanten Taten. Aufmerksam räumt er das gebrauchte Geschirr auf. Sein Essen stellt er sich in vielen Gängen am Büffet zusammen. Wobei Gänge wortwörtlich gemeint ist. Denn am Büffet trifft er seine Traumfrau. Sie überragt ihn um einiges, denn Xaver ist nicht lang von Wuchs. Auch ich kann auf ihn runter schauen.
Aber das stört ihn nicht - mein Herunterschauen ist unwichtig - denn er schaut beseligt an ihr rauf und runter. Sie hat einen langen dunklen Pferdeschwanz und keine Augenbrauenhärchen. Dafür wundervoll gebogte, schwarzglänzend gemalte Brauen. Sie spricht sanft, arbeitet schnell und verbreitet eine angenehme Atmosphäre in der Ungeduld der Krückenträger und Rollstuhlfahrer, die das Essen aussuchen und dann von ihr zu Tisch getragen bekommen.
Für Xaver ist sie definitiv die Traumfrau, für die er nach Deutschland gekommen ist, obwohl sie aus Slowenien stammt. Er macht ihr den Hof. Siehe oben: Hilfe beim Geschirr wegräumen. Sie geht auf seinen Extrawunsch ein: Honig. Die andere Hilfsfee hat ihn schon abblitzen lassen mit "Honig gibt es nur zum Frühstück!"
Sein Dank ist zauberhaft. Er holt eine frische blaue Serviette, zerlegt sie in eine hauchdünne Lage, rollt einen Zipfel, aus dem er eine Rosenknospe faltet. Der Rest der Serviette wird zum Stängel, das untere Ende zerrissen, ein Blatt daraus geformt und in den Stängel gedreht. Unser Tisch war fast abgeräumt als Paganini wieder zum Training geht. Auf dem Tisch steht der weiße Porzellan-Suppenteller, den die blaue Papierrose elegant überspannt, mit einem Blatt im Tellerrund.