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06.01.2016:
Sie: "Your are my tiger" + Er: "I'm riding the tiger"
Er: "I'm the lion ..." + Sie: "... and I'll chase it!"


Könnte der Anfang dieses Sweatpulls sein, den Alex trug. Alex, der nicht besonders auffiel in der Gruppe. Außer, dass er einer der beiden Männer zwischen sechs Frauen war, die sich zum Schreiben trafen. In einer ehemaligen Pralinenmanufaktur. Wovon die inzwischen eierschalenfarbenen Kachelwände noch zeugten. Er, Alex, hatte sich der Realkrimi-Ebene verschrieben. Er mischte munter Erlebnisse aus seinem Bankalltag, er war Vermögensberater, mit kriminellen Fantasien. Die hatte er jedes Mal, wenn er die Millionen Franken vor sich sah. Besser auf seinem Bildschirm. Millionen Franken, die er für alte Damen im Besonderen gewinnträchtig anlegen sollte. Stoff für einen neuen Realkrimi, schoss ihm durch den Kopf. Doch er irrte sich.

Marisa, eine Malerin, hatte es weit gebracht. Weniger mit ihrem Talent. Eigentlich hätte dies ausreichen sollen. Aber Marisa erheiratete Vermögen. "Alte Säcke", verriet uns Alex in der Schreibgruppe, "sind die besten Liebhaber der Welt, meint Marisa." Immer knapp vor voraussichtlichem Lebensende verschaffte Marisa ihren sechs Ehemännern das Licht des Lebens in schönsten Farben. Alex und Marisa kannten sich seit Ehemann Nummer fünf. Das waren heute zwanzig Jahre Erfahrung und Gewinn. Für den damals 20-jährigen Alex, der von Marisa ausgewählt wurde, mit ihr und ihrem Geld zu wachsen. Nicht zu verachten der Kontostand damals. Die Direktion zögerte noch, diesen Youngster zwölf Millionen Franken verwalten zu lassen. Aber Marisa wollte es so. Sie wollte mit Alex alt werden.

Ehemann Nr. 6 hatte das Zeitliche gesegnet. Marisas Tränen am Grab flossen reichlich. Noch reichlicher flossen Millionen auf Marisas Konto. Wie Alex gesehen hatte, bevor er zum Grab aufbrach, um Marisa zu stützen in ihrem Schmerz. Die Trauergesellschaft im Nieselregen hörte die Worte des Pfarrers: "Asche zu Asche, Staub zu Staub". Die passende Predigt für eine Urnenbestattung, wie Alex fand. Marisa schwächelte unter dem schwarzen Schleier. Ihre konvulsivischen Zuckungen galten weniger dem Schmerz um den Verblichenen Nummer sechs als dieser Ansammlung von welkem Fleisch, das sich Trauernde nannte. Sonst hatte sie immer ihren nächsten Kandidaten spätestens am Grab ausmachen können. Auch Nummer sechs. Der hatte sie getröstet beim Leichenschmaus von Nummer fünf. Und gestanden, dass er Nummer fünf immer um Marisa beneidet hatte. Deshalb hatte er die größte Sammlung von Marisas Werken angehäuft. Das war Marisas eigene knappe Fränkli-Million, die sich auf den Caymans immer stärker vermehrte. Hätte sie widerstehen können, als er sie nach drei Monaten um ihre Hand bat? Nicht schicklich vor zwölf Monaten zu heiraten? Jeder verstand Nummer sechs, der hatte keine Zeit mehr zu verschenken. Mit 89 war die Lebensdauer eine übersichtliche Anhäufung von Monaten. Dachte Marisa mit ihren 37 Jahren. Fünf Jahre max gab sie Nummer sechs an ihrer Seite. Es wurden elf.

Marisa lächelte in ihr Spitzentaschentuch. Nummer sechs verabscheute Papiertaschentücher und hatte seiner Marisa fünf Dutzend feinste Nasentüchli mit florentinischem Spitzenschaum - ja, Saum konnte man diese filigranen Häkelmaschen nicht nennen - geschenkt. Sie lächelte voll Zuneigung ins Grab. Nummer sechs war Realist. "Ich bring's nicht mehr im Bett", hatte er ihr am Hochzeitsabend zugeflüstert, nachdem alle Reden gehalten waren. "Nimm dir einen hübschen knackigen Jungen, der dich glücklich macht. Aber gib mir deine Liebe, nicht ihm." Marisa war dankbar, dass Nummer sechs nicht dabei sein wollte. Stattdessen baute er einen kleinen Winkel an sein L-förmiges Haus, sodass es nun ein U bildete. In der Mitte lagen die gemeinsamen Räume, im linken kürzeren Flügel die Privaträume von Marisa, gegenüber die von Nummer sechs. Nicht überraschend, dass Marisa Alex auswählte. Nummer sechs mahnte, dass gemeinsamer Sex und Geldverwaltung zu Differenzen führen. Marisa hörte nicht zu. Sie begann mit dem Sweatpull. Alex fühlte sich gut. Er brachte es bei Marisa. Er konnte es lesen und bewundern. Auf dem Sweat in ihrem Atelier.

An Marisas 45. Geburtstag, Nummer sechs feierte drei Tage vorher seinen 97sten, kam Unmut bei ihr auf. Alex konnte die Nacht vor dem Geburtstag, auch die am Geburtstag nicht mit Marisa verbringen. Revision hatte er gemurmelt. Marisa glaubte ihm kein Wort. Am nächsten Morgen rauschte sie in Alex' Bank und sah seine neue Sekretärin. "Wie langweilig!", schleuderte sie Alex entgegen, als sie die Tür zu seinem Büro aufriss. Er wurde rot, stotterte und verhedderte sich in Entschuldigungen. Marisa sann auf Rache.

Alex war wieder brav zu den vereinbarten Nächten angetreten. Zwar fand er Marisas Kontobewegungen aufregender als ihre im Bett, doch ... Marisa setzte den letzten Strich aufs Sweat: You versus me. Alex lachte. Marisa hatte ihre Heiterkeit verloren. Nummer sechs war besorgt. Er besann sich. 'Wechseljahre' schoss ihm durch den Kopf, der klar und folgerichtig denken konnte. Schon immer seine Spezialität. Er nahm seine Frau in den Arm und streichelte zärtlich ihr Gesicht. Marisa erzählte. Nummer sechs schmunzelte. Das war etwas, das er aus dem Effeff konnte. Komplizierte Situationen zum eigenen Vorteil auflösen. Am Morgen, Marisa war über Nacht in seinem Bett geblieben, umriss er beim Knusperbrötchen - Implantate sei Dank - seinen Plan. Marisa beschloss, dass es doch noch nicht der letzte Strich auf dem Sweatpull sein sollte. Sie zeichnete und malte weiter.

Beim Leichenschmaus von Nummer sechs war die Gästezahl übersichtlich. Nur vier Freunde, Witwer im Rollstuhl, mit ihren Pflegerinnen saßen mit Marisa und Alex vor Nummer sechs' Kamin. Alex hielt liebevoll Marisas linke Hand, Marisa den florentinischen Spitzenschaum in der rechten. Sie lächelte träumerisch vor sich hin. "Ich verlasse euch", eröffnete sie ihren Gästen. Alex schaute alarmiert. "Ich habe das Haus verkauft und gehe auf Reisen!" "Allein?", entfuhr es Alex. Sie lächelte ihn an: "Aber nein, du kommst mit!" Sie flogen nach Afrika. Safari. Alex war glücklich. Das war schon immer sein Traum gewesen. Er trug am Abend seinen Sweatpull. Den Marisa mit ihren Liebesbekenntnissen geschmückt hatte. Einzigartig und so schön, dass er auch Treiber Koogo ins Auge fiel. Es war leicht, Alex beim Löwentrip aus den Augen zu verlieren. Aber schwierig, den Sweatpull einzusammeln. Den trug nun Koogo, stolz auf den Riss vom Fangzahn des Löwen über dem Herzen.