09.05.2016:
Das Leben hinterlässt Spuren im Spiegel
Fotos machen mir das Leben schwer. Wenn sie mich abbilden. Das, was ich sehe, und das, wie ich mich von innen sehe, kann ich nicht übereinander setzen zu einem Gesamteindruck. Also, da rede ich schwungvoll mit meinem Gegenüber, hoch motiviert und interessiert - offensichtlich kommt gute Respons - wir sprechen hier ausschließlich von meinem "Bild" (innerlich) -, dann schickt mir ein lieber Mensch begeistert seinen Schnappschuss von der Situation. Und ich falle in Ohnmacht. Knallharte Sonne verbirgt keinen "Fehler". Die Linien im Gesicht sind hart - und die Krater und Zerklüftungen, die der gnadenlose Schatten produziert ... davor kann ich nur meine Augen schließen.
Jetzt steht die Drucklege für meinen ersten Roman an. Autorenfotos müssen her. Mein sehr hilfsbereiter Executive Manager im Verlag hat ein Händchen für die Kamera. Und für die Subjekte davor. Ich glaube ihm aufs Wort, will aber nicht wissen, wie er mich sieht. Feigling, denke ich, stell dich der Realität mit ihren scharfen Kanten und Knittern auf deiner Oberfläche. Denn leider hilft mein Wahlspruch nicht mehr, der mich immer aus der Patsche von Laufmaschen und Dreckbatzern an der Kleidung (dank Hund und Nachwuchs auf dem Lande mit gelbem Lehm) riss, "kräftig lächeln und dann rutscht kein Blick tiefer als bis zum Mund" - heute zieht das ganz sicher nicht mehr - habe keine Lust das auszuprobieren und eine Bauchlandung zu erleben!
Dann lieber Charlotte, von der ich sicher weiß, dass sie mich mag - und die ein menschliches Kameraauge "hat". Wir verabreden uns im Museumskubus in Stuttgart. Ich fahre sehr rechtzeitig los und dann ...
... dann kommt Stuttgart-Mitte-Chaos. Vor lauter rot-weißen Barken, sehe ich keinen Zugang gen Landtag mehr. Mein Zeitvorsprung schrumpft. Mein Lieblingsparkhaus wurde abgerissen für einen Neubau, der nur zu ahnen ist. Dann ein Wunder: Ein freier Parkplatz dicht am Treffpunkt. Zehn Minuten à 80 Cent - gut, ich habe nur einen Euro. Kartenfunktion ist gesperrt. Also losrennen und den 50er wechseln lassen, damit ich die zehn Euro Höchstparkdauer zahlen kann. Kein Geldautomat zu finden, was eingekauft und der Kassiererin den Zehner abgepresst. Wieder zurück zum Parkplatz, dann die Erkenntnis: Stuttgart entmutigt seine Langzeitparker damit, dass man mit Kleingeld aufstocken muss bis zum Höchstbetrag, Die Zeit läuft mir weg, ganz besonders, weil Charlotte mir smst, dass mein Vordermann schon früher fertig ist. Gut, fertig bin ich auch, aber ich spurte so schnell es geht zum Kubus. Inzwischen sind meine geföhnten Locken (immerhin Autorenfoto!) vom Regen trotz Schirm durchgeweicht und kringeln, wohin sie eigentlich nicht sollen, und signalisieren deutlich, Gise ist genervt. Herrgottnochmal, fährt mir durch den Kopf, solch ein Aufwand, um auszusehen, wie durchs Gebüsch gezogen.
Dann das Wunder, das ich gar nicht glauben kann. Die Fotos spiegeln von meinem Drama gar nichts wider. Selbst wenn Charlotte eine Strangulierung am Hals und fehlende Struktur beim Augen-Make-up fotografiert - ist das schön, weil lebendig. Liebe Freundin, you made my day!