Wenn ich meinen "Freundinnen" auf digitalen Spuren folge, scheint eines grade Saison zu haben: "Magic cleaning à la Marie Kondo". Minimalismus - für jeden nur ein Set aus Besteck, Teller tief, Teller flach, ein Glas, ein Becher, T-Shirts und Pullover stehen aktengleich im Schrank, Socken und Slips werden säuberlich gefaltet mit einem liebevollen Gruß in die Schublade verabschiedet. Das empfinde ich als öde. Grade jetzt, wo es an buntem Ambiente mangelt, es wenig Spaß macht, maskiert in einem Café zu sitzen oder maskiert bedient zu werden, anderen Maskierten oder maskenlosen Unvernünftigen zuzuschauen. Ich habe bemerkt, dass Lieblingstasse und Lieblingsbecher ihren Charme eingebüßt haben. Den Zauber des Moments. Ich sehe deutlich, wie abgeschrubbt ihr Design ist. Ich bemerke einen beginnenden Sprung, von dem ich weiß, dass er mich schon seit Jahrzehnten begleitet. Kurz: Bei aller Beschränkung von Bewegungsfreiheit brauche ich mehr denn je das Abenteuer. Reisen geht nicht so wie ich es mir wünsche, also findet die Expedition in meinen Schränken statt. Der blaue Schokoladenbecher aus dem 18. Jahrhundert zeigt Präsenz beim Kakaotrinken. Das Geblümte vom Beginn des letzten Jahrhunderts unterscheidet hauchfeine Tee- und Kaffeetassen. Ein sinnliches Erlebnis, mal wieder was anderes zwischen den Lippen zu spüren als den üblichen Becherrand, ein anderes Gewicht zwischen den Fingern zu halten und Tee, Kaffee und Schokolade so auch geschmacklich neu zu erfahren. Träumerei? Nein, echte Erfahrung, die zeigt, wie variabel, wie aufregend vielfältig Alltag sein kann, wenn man Alltagsmomenten ihren Zauber entlockt.